Antisemitismus ohne Antisemiten

Autoritäre Vorurteile und Feindbilder. Mit einer Einleitung von Gerhard Botz. Unveränderte Neuauflage früher Analysen 1974-1979 und Umfragen 1946-1991

PUBLICATION YEAR

2000

CITATION

Marin, B. (2000). Antisemitismus ohne Antisemiten. Autoritäre Vorurteile und Feindbilder, Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung 10. Frankfurt am Main / New York: Campus Verlag.

DESCRIPTION

Wie kann Antisemitismus nach dem Holocaust in Zentraleuropa überhaupt fortbestehen und welche neuen Formen hat dieser Antisemitismus ohne Antisemiten und ohne Juden seither angenommen? Am Beispiel Österreichs werden in vergleichender Perspektive die Spuren gesellschaftlicher und seelischer Verwüstung wie auch Neubildung nachgezeichnet: Gegen den historischen Hintergrund nazistischer Ausmerzung als Steigerungsstufen der Juden-verfolgung von der Ächtung zur Vernichtung (G. Botz) entwickelt Marin eine viel diskutierte Theorie eines nach der Shoa neuartigen, gleichsam verbotenen, verschämten, sich selbst verleugnenden Antisemitismus ohne Antisemiten: Eines Ausnahme-Vorurteils ohne Legitimation und öffentliche Träger, durch kulturelle Verfestigung in das kollektive Unbewußte und den Untergrund der Privatheit abgesunken, doch weiterhin weit verbreitet und ein eminent politisches und politisch und medial ausgebeutetes Potential.

Neben aktiver Diskriminierungsbereitschaft und ihrer Hinnahme bestehen Klischees und Stereotypen über die Juden selbst ohne feindselige Vorurteile, verselbständigen sich symbolisch und wirken über Zerstörung der Umgangssprache und entsprechende Mystifikationen fort. Der Antisemitismus ohne Juden ist viel stärker in Regionen ohne jede Juden und bei Personen, die niemals persönlichen Kontakt zu Juden hatten.

Ein Reproduktionsmodell kollektiver Mentalität versucht jene Nachwirkungen des Nazismus in einer gespaltenen Nation ber Prozesse der Tabuisierung, kollektiver Schuldabwehr und Entwirklichung des Holocaust, (Re)privatisierung des Antisemitismus und seiner Verwertung durch das Vorurteils-Management von Massenmedien und der politischen Klasse in der Nachkriegszeit zu rekonstruieren, welche die institutionell nur teilweise erledigte NS-Vergangenheit gespenstisch gegenwärtig halten. Am Beispiel der auflagenstärksten österreichischen Tageszeitung weisen Textanalysen die Mythenfabrikation von Printmedien und ihren Beitrag zur ständigen Wiederkehr des Verdrängten nach.

Der Autor analysierte auch Phänomene wie das Herbeischreiben einer künstlichen law and order-Hysterie bei sinkenden Verbrechen durch Die Presse sowie die Psychotechnik politischer Angstproduktion und Sicherheits-Agitation; einer Fremdenangst ohne Fremde, den Autoritarismus der Arbeiterschaft (und des kleinbügerlichen Mittelstands) lange vor ihrem mehrheitlichen Überlaufen zum Rechtspopulismus; das Entstehen eines Neuen Populismus und seine Wechselwirkungen mit der Sozialpartnerschaft lange vor dem Aufstieg des Rechtspopulismus; einer Feindseligkeit gegen sozial Schwache und Außenseiter, den Parasiten-Komplex sowie andere innere Feindbilder und die Vorurteilsverlagerung auf auserwählte neue Opfer und Sündenbücke.

Dieses Buch faßt erstmals verstreute, noch nie gemeinsam publizierte, meist unzugängliche oder inzwischen vergriffene Schriften aus den Jahren 1974 bis 1979 und internationale Umfragebefunde aus den Jahren 1946 bis 1991 aus dem Journal für Sozialforschung zusammen. Weil das Vergangene nicht vergeht, solange seine Ursachen fortbestehen, weil das Verdrängte kaum verkleidet oder bis zur Kenntlichkeit entstellt wieder- und wiederkehrt, werden diese frühen Analysen nach einem Vierteljahrhundert unverändert neu aufgelegt.

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